Diakonie-Mitarbeiter Ammar A. hat sich für Frankfurt entschieden
Ammar A. hält einen zusammengerollten Zettel in der Hand. Darauf hat der Mann, der als Sozialhelfer in einer Unterkunft für Geflüchtete in Niederrad arbeitet, Gedanken zur Lage in Syrien aufgeschrieben. Konzentriert erzählt er zunächst von seiner Flucht 2015 und vom „extremen Krieg“, der in seinem Land bis zum Sturz Assads herrschte. Schildert Wege, die er nahm, und die Flucht in einem Boot von der Türkei nach Griechenland, mit 37 Personen, darunter Kinder und Schwangere. „Ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe“, sagt Ammar A. und seine Augen verdunkeln sich für einen Moment. Heute ist der Jurist aus Aleppo selbst Vater, hat seit einem Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft und arbeitet seit fast sechs Jahren in der Unterkunft „Am Poloplatz“ der Diakonie Frankfurt und Offenbach. Für den Anfang ist das „super“, als Sozialhelfer unterstützt er die Bewohner: innen in jeder Beziehung: „Ihnen zu helfen ist sehr schön, als ich nach Deutschland kam, habe ich auch Hilfe bekommen.“
Ich war wie neu geboren als ich nach Deutschland kam Der 37-Jährige ist einer der syrischen Mitarbeitenden der Diakonie, die ihr Leben, das sie sich in Deutschland aufgebaut haben, nicht mehr missen möchten. „Ich war wie neu geboren als ich ankam und ich bin dankbar, weil Deutschland mir viel angeboten hat,“ sagt Ammar A. Durch die Arbeit und die Integration „bin ich Deutscher geworden“. Sprache lernen, Mentoring-Programm, Praktika, Hospitationen, Teilnahme an einem EU-geförderten Programm für Juristen, die nicht in Deutschland studierten. Untergebracht erst in einer Sporthalle, dann in einer Übergangsunterkunft und inzwischen in der eigenen Wohnung. Erfolgreich kämpfen um das Recht, bleiben zu dürfen, die Zeugnisse anerkannt zu bekommen, weitere Sprachkurse zu machen. Aber auch die Erkenntnis, dass es nach neun Jahren in Deutschland „sehr schwer ist, als Jurist zu arbeiten, ich muss die Sprache noch mehr beherrschen.“
Die Mutter wiedersehen – nach so vielen Jahren Wie es ihm ging, als vor wenigen Wochen der Diktator und Menschenschlächter Assad gestürzt wurde? Zum ersten Mal während des Gesprächs überstrahlt ein glückliches Lächeln das ganze Gesicht von Ammar A. „Wir konnten es nicht glauben, wir sind glücklich, es kam alles so schnell und so überraschend.“ Auch wenn unklar ist, wie es weitergeht, die Lage kompliziert und die Herausforderungen riesig sind: „Wir Syrer haben jetzt ein Heimatland, ich habe ein Land, ich bin aus Syrien.“ Durch den Krieg, sagt der 37-Jährige, „haben wir unsere Werte verloren, Millionen Syrer standen vor der Frage, ‚entweder lasse ich mich töten oder ich fliehe‘.“ Ammar A. erinnert sich gut, wie schwierig die Entscheidung war, das Land zu verlassen: „Die Orte der Kindheit und alles, was ich in diesem Land erlebt habe, war weg.“ Seine Familie blieb in Syrien, bis auf einen Bruder. Ammar A. hat sich definitiv für Deutschland entschieden. Aber er freut sich unbändig darauf, nach Syrien zu reisen, falls das tatsächlich möglich wird: „Ich habe meine Mutter seit zehn Jahren nicht gesehen.“
Ich wünsche mir Politiker mit Anstand Drei Fragen an Markus Eisele, Theologischer Geschäftsführer des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach
1. Wie war Ihre Reaktion, als Sie vom Sturz des syrischen Diktators Assad hörten? Ich konnte es kaum glauben, so schnell fiel das korrupte Kartenhaus zusammen. Ich freue mich, dass die internationale Gemeinschaft schnell reagiert hat und das Land hoffentlich in eine gute Zukunft geht.
2. Sehr schnell wurden in Deutschland Stimmen laut, die das Aufenthaltsrecht syrischer Geflüchteter hierzulande infrage stellten… Was für eine Niedertracht, mit der hier einige im Wahlkampf schnelle Punkte machen wollten! Abschieben in ein Land, das von Krieg und Terror gezeichnet ist, in dem eine bislang islamistische Miliz herrscht und wo die, die mit Willkür und Folter geherrscht haben, doch nicht einfach weg sind! Ich wünsche mir Politiker mit Anstand, die keine populistischen Phrasen raushauen, sondern mit Herz, Verstand und Augenmaß auf neue Situationen reagieren.
3. Auch im Evangelischen Regionalverband, vor allem in diakonischen Einrichtungen, arbeiten Syrerinnen und Syrer, was wünschen Sie Ihnen? Wie froh können wir sein, dass Syrer:innen gut integriert bei uns arbeiten. Übrigens sind viele schon lange vor dem Bürgerkrieg zu uns gekommen und haben sich hier gut eingebracht in Wirtschaft und Gesundheitssystem. Ihnen mit Abschiebung zu drohen, ist falsch. Es verdient aber alle Unterstützung, wenn zum Beispiel deutsch-syrische Ärzte und Apotheker:innen jetzt für eine Weile im Gesundheitswesen in Syrien helfen und damit die Zukunft in Syrien positiv gestalten. Noch etwas Grundsätzliches: Die ausländerfeindlichen Parolen verunsichern auch bestens integrierte Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Immer wieder höre ich die Frage: ‚Bin ich hier noch erwünscht und sicher oder sollte ich besser aus Deutschland wegziehen?‘ Der zunehmende Rassismus bei uns ist unerträglich und nicht zu tolerieren.