image Foto: Susanne Sperling

Hinhören – Hinschauen – Handeln

Mit nachdenklichen Worten eröffnete Stadtdekan Holger Kamlah die erste Tagung der Stadtsynode der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach im neuen Jahr. Im Mittelpunkt stand der Umgang mit der ForuM-Studie, die Ende Januar 2024 an die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland übergeben worden war. Die unabhängige wissenschaftliche Studie beleuchtete erstmals das Thema sexualisierte Gewalt und Missbrauch in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland. Die ForuM Studie habe der Evangelischen Kirche einen Spiegel vorgehalten, weil lange geglaubt wurde, „dass es kein Problem unserer Kirche“ sei, so der Stadtdekan. Die Ergebnisse der ForuM-Studie legten ein jahrzehntelanges Versagen der Evangelischen Kirche und der Diakonie auf allen Ebenen und in allen Landeskirchen offen. Betroffene Personen wurden nicht gehört, Taten nicht aufgearbeitet, Täter geschützt und Verantwortung nicht übernommen. Sexualisierte Gewalt gehört zur Realität unserer Kirche und unserer Diakonie. „Wir müssen lernen, dass diese Wunde immer offen bleibt“, so Kamlah. „Aufarbeitung und Prävention tun bitter Not!“

Projektgruppe stellt eigenen Bericht auf der Stadtsynode vor
Als Reaktion auf die Studie haben der Evangelische Regionalverband und das Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach vor einem Jahr eine Projektgruppe unter der Leitung von Petra Hofmann (Kompetenzzentrum Traumapädagogik. Kinderschutz. Systemisch.) beauftragt, die Ergebnisse der Studie zu analysieren und mit der Situation im Evangelischen Regionalverband und Stadtdekanat abzugleichen. Der Abschlussbericht dieser Arbeitsgruppe wurde während der Stadtsynode den Delegierten von Pfarrer Gunter Volz, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach, Monika Heil, Qualitätsmanagementbeauftragte im Evangelischen Regionalverband Frankfurt und Offenbach (ERV), Marko Schäfer, Präventionsbeauftragter und Referent im Stadtjugendpfarramt, vorgestellt.

Eine Kulturänderung ist nötig
Das Ergebnis zeigt, dass sexualisierte Gewalt in vielen Kirchengemeinden und Einrichtungen noch nicht ausreichend thematisiert wird. Eine Ausnahme bildet der Bereich der Evangelischen Tageseinrichtungen für Kinder, dort sind umfassende Gewaltschutzkonzepte bereits vorhanden und es wurden Fortschritte erzielt. In vielen anderen Bereichen herrscht hingegen noch die Vorstellung, dass „das bei uns nicht passiert“, heißt es in dem Bericht. Er kommt zu dem Schluss, dass der Handlungsbedarf häufig erst dann als akut wahrgenommen wird, wenn ein konkreter Verdachtsfall auftritt. Doch es braucht in allen Kirchengemeinden und Einrichtungen eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, um eine Kulturänderung einzuleiten.

Das Unsagbare sagbar machen
Die Projektgruppe hat eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet, um diesem Missstand entgegenzuwirken: Es braucht gezielte Maßnahmen, um das „Unsagbare sagbar zu machen“ und eine umfassende Sensibilisierung für (sexualisierte) Gewalt, Macht- und Abhängigkeitsstrukturen auf allen Ebenen verpflichtend und regelmäßig zu thematisieren. Ebenso muss die Auseinandersetzung mit Täterstrategien ein fester Bestandteil der Schulung werden. Dazu gehören unter anderem das Erkennen von Manipulation, Machtmissbrauch, das Einfordern von Gehorsam, das Schaffen von Geheimnissen, Einschmeicheln, Sonderbehandlungen, schrittweise Grenzüberschreitungen, Drohungen, Schuldzuweisungen, Verschleierung und Vertuschung, sowie das Diffamieren und Bloßstellen von Opfern. Ebenso wichtig ist es, die Glaubwürdigkeit der Betroffenen nicht in Frage zu stellen und die Verharmlosung von Taten zu verhindern. Dazu schlägt die Gruppe den Aufbau eines systematischen Wissens- und Kompetenzmanagements vor, die Einrichtung einer Fach- und Koordinierungsstelle Gewaltschutz sowie die flächendeckende Einführung eines Qualitätsmanagements.

Entschiedenes Handeln auf Leitungsebene
Die größten Herausforderungen für den Evangelischen Regionalverband und das Stadtdekanat sind, flächendeckend Wissens- und Schutzstrukturen zu etablieren und die Gefährdungspotenziale klar zu benennen. „Als Verantwortliche ist uns klar, dass es entschiedenes Handeln auf oberster Leitungsebene geben muss“, so Stadtdekan Holger Kamlah. „Und dem stellen wir uns!“

Synode beschließt Maßnahmenpaket
Die Stadtsynode der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach hat daraufhin ein Maßnahmenpaket zum Thema „sexualisierte Gewalt“ beschlossen. Der Vorstand von Stadtdekanat und Evangelischem Regionalverband wurde in dem Beschluss beauftragt, „dafür Sorge zu tragen, dass die Empfehlungen des Berichts in enger Abstimmung mit Betroffenenvertreter:innen und den beauftragten Stellen in Kirche und Diakonie umgesetzt werden“.


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