image Foto Christoph Boeckheler

Achim Kaffenberger ist nach 31 Jahren Wohnungslosigkeit in seiner Wohnung im Housing First angekommen

Flucht in die Obdachlosigkeit

Achim Kaffenberger ging mit Anfang 30 auf die Straße, nun, mit 60 Jahren, ist er wieder heimisch geworden im Housing First-Projekt der Diakonie in Sossenheim

Sein Name steht ganz oben in der Reihe der Klingelschilder. Nach 31 Jahren auf der Straße ist Achim Kaffenberger sesshaft geworden. Sein halbes Leben lang ist der 60-Jährige von Ort zu Ort gezogen. München, Berlin, Stuttgart, Brandenburg, Kelsterbach, Frankfurt, Bad Vilbel und so fort. Jetzt sitzt der gelernte Bäcker und Konditor in seiner hellen Wohnung in Frankfurt Sossenheim. Er gehört zu den ersten Mietern im Housing First-Projekt der Wohnungsgesellschaft GWH, der Stadt Frankfurt und der Diakonie Frankfurt und Offenbach. Housing First bedeutet, obdachlose Menschen direkt von der Straße weg in eine Wohnung zu vermitteln. Wie es ihm hier geht? Kaffenberger breitet die Arme weit aus und lächelt: „Ich fühle mich hier pudelwohl.“ Das Gefühl, seinen Namen auf dem Klingelschild zu lesen, er findet keine Worte dafür „Hey Achim“, sagt er stattdessen zu sich selbst.

Nur mit einer Zeitung unter dem Schlafsack
Alles begann mit dem Mehl-Asthma – Achim Kaffenberger musste seine Arbeit in einer Bäckerei im Odenwald aufgeben. Gesprochen hat er mit niemandem darüber. „Ich konnte das keinem erzählen, ich bin weg nach München, es war eine Flucht in die Obdachlosigkeit“, sagt er. Und erinnert sich an die Nacht in Potsdam bei minus 15 Grad im Schlafsack, nur mit einer Zeitung darunter: „Ich habe mich bis auf die Unterhose ausgezogen, der Schlafsack war warm, der ging bis minus 30 Grad, aber am nächsten Morgen konnte ich kaum mein Hemd zuknöpfen, so steif waren meine Finger.“

Hitze ist genauso schlimm wie Kälte
„Kälte nagt an einem, aber Hitze ist auch schlimm“, sagt der 60-Jährige. Er freut sich, wenn er sieht, wie Straßensozialarbeiter:innen in der Sommerhitze Wasserflaschen, Melonenstücke und Sonnencreme an Wohnungslose verteilen. Und er ist jemand, der etwas zurückgibt, wenn ihm Gutes getan wurde. Mehrmals in der Woche hilft er bei einem Frühstück für Wohnungslose, wo er selbst oft zu Gast war. „Zum Monatsende, wenn das Geld knapp wird, kommen manchmal 140 Menschen zum Frühstücken, 140 …“, wiederholt er fast ungläubig.

Übernachtung auf dem Friedhof
Ein „Durchwanderer“ – das war Achim Kaffenberger viele Jahre lang, schon als es die Mark noch gab, holte er sein Tagesgeld von 8,50 Euro ab, am Wochenende waren es 25,50 Euro. Kein Alkohol, keine Drogen, immer Einzelgänger, immer möglichst gepflegt. Im Rhein-Main-Gebiet übernachtete er gerne auf einem Friedhof. „Dort war die Toilette die ganze Nacht geöffnet und etwas geheizt, damit die Leitungen nicht einfrieren. Morgens habe ich mich da frisch gemacht und bin dann weg, mir hat keiner etwas angesehen.“ Sein Gepäck verstaute er hoch oben auf einer Plattform an der Friedhofskapelle, „es ist nie etwas weggekommen“. Der Chef der Friedhofsverwaltung habe irgendwann gewusst, dass er dort übernachtet, und signalisierte: „Du darfst bleiben, wenn Du keinen Dreck machst.“ Achim Kaffenberger ist keiner, der etwas schmutzig macht, im Gegenteil, „ich liebe Ordnung und Sauberkeit.“

„Sicherheit ist für mich das Wichtigste“
Ganz anderes erlebte er während seiner Zeit als Obdachloser, Übernachtungen zu viert in einem Raum, aufgebrochene Türen und Spinden, aber es gab auch gute Nächte: „In Oranienburg habe ich direkt vor der Polizei übernachtet, die brachten mir morgens Kaffee.“ Immer wieder erzählt er von seinen Aufenthalten in Frankfurt und Offenbach: Tagesgeld abgeholt beim Sozialdienst Offenbach Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie an der Gerberstraße, Duschen in der Bahnhofsmission, Mittagessen für 1,50 Euro im WESER5 Diakoniezentrum, ein paar Nächte am Flughafen. „Es ist Stress“, sagt er zum Leben auf der Straße. Jetzt, im Housing First-Projekt, ist er „wunschlos glücklich. Ich habe mein Zuhause, ich kann mich hier zurückziehen, wenn jemand rumbrüllt. Sicherheit ist für mich das Wichtigste, deshalb habe ich mir auch immer Friedhöfe ausgesucht.“

„Ich war zufrieden, den Tag herumzukriegen“
Warum er nicht vorher aus dem Leben auf der Straße ausgestiegen ist? „Man ist wie in einem Tunnel, in einem Sog, ich war zufrieden, den Tag herumzukriegen, mir kam gar nicht der Gedanke, etwas anderes zu tun.“ Aber im Sommer 2021, als er die Knochen spürte und nicht wusste, wie lange er dieses Leben noch aushalten könne, da hat’s gefunkt, als ihm eine Sozialarbeiterin im WESER5 Diakoniezentrum sagte, dass sie vielleicht etwas für ihn hat. Achim Kaffenberger lehnt sich zurück: „Wahnsinn, was die Diakonie und die anderen Träger der Wohnungslosenhilfe leisten.“

„Schafe, Ziegen, Lamas und Schweine füttern“
Inzwischen arbeitet Achim Kaffenberger ehrenamtlich im Schwanheimer Kobelt-Zoo. Eine Sozialarbeiterin vom Sozialdienst Wohnen und Betreuen der Diakonie, die die zwölf Bewohner:innen des Housing First-Projektes unterstützt, ermutigte ihn, weil er gerne etwas mit Tieren machen wollte. Morgens ist Achim Kaffenberger dort an drei bis vier Tagen die Woche als erster im Zoo, füttert Schafe und Ziegen, Lamas und Schweine, spritzt Tröge mit dem Schlauch aus, „da gibt es Arbeit ohne Ende“.

„Wende um 180 Grad“
Ein Leben also, das vor Anker gehen konnte, eine Wende um 180 Grad? Achim Kaffenberger lacht, „so hab ich das noch gar nicht gesehen.“ Aber eines weiß der Mann, der von Grundsicherung lebt, also von 449 Euro plus Übernahme der Warmmiete: Sobald er eine kleine Summe Geld erhält, will er sich ein etwas größeres Mobiltelefon kaufen, das er besser bedienen kann. Und sonst? „Was denken Sie? Ich hab doch alles. Ich möchte dem Kobelt-Zoo etwas spenden und auch dem Frühstück für Obdachlose.“

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