image Foto: Peter Weidemann

Freut sich über ihren "Engagierten Ruhestand" im Secondhand-Markt Samt & Sonders XXL: Daniela Bulone

Engagierter Ruhestand bei Samt & Sonders XXL

Ein Programm für „Postnachfolgeunternehmen“ fördert gesellschaftliches Engagement

Frau Bulone hat sich verändert. Betreute sie bis Mitte letzten Jahres noch große Wirtschaftsunternehmen und Konzerne in Sachen Datenleitungen, arbeitet sie seit vergangenem September beim Secondhand-Markt Samt & Sonders XXL. Ehrenamtlich. Ermöglicht hat das ihr alter Arbeitgeber, die Deutsche Telekom. Das Programm heißt „Engagierter Ruhestand“. Bulone, die 62 Jahre alt ist und mit Vornamen Daniela heißt, geht voll darin auf. „Etwas Besseres konnte mir nicht passieren“, sagt sie und hofft, dass noch der eine oder die andere aus ihrer Kollegenschaft es ihr gleichtut.

Daniela Bulone gehört zu jenen Beamtinnen und Beamten der Deutschen Bundespost, die die Postreformen am Ende des letzten Jahrhunderts erlebten. Aus der Behörde und ihren Geschäftsbereichen gingen durch Privatisierung drei Aktiengesellschaften hervor: Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG und die Deutsche Telekom AG. Durch Umstrukturierung und Neuorganisation dieser sogenannten Postnachfolgeunternehmen gab es Arbeitsplätze, die sofort oder nach und nach wegfallen würden.

Bundesgesetz zum Engagierten Ruhestand
Eine der Lösungen dieses Problems trat als Bundesgesetz in Kraft: Engagierter Ruhestand. „Uns Beamten wurde angeboten, nach dem 55. Lebensjahr abschlagsfrei in den Ruhestand zu gehen. Aber nur, wenn wir uns zu gesellschaftlichem Engagement verpflichten und dieses auch nachweisen“, umschreibt Bulone das Programm. Sie stellte erst mit über 60 den entsprechenden Antrag. Engagierte Ruheständler wählen, wenn sie nicht in die Familienpflege gehen, zwischen einem zwölfmonatigen Bundesfreiwilligendienst oder 1.000 Stunden Ehrenamtsarbeit innerhalb von drei Jahren nach Beginn des Ruhestandes.

Daniela Bulone entschied sich, ihre 1.000 Stunden bei Samt & Sonders XXL in Bergen-Enkheim einzusetzen. Den Secondhand-Markt der Diakonie Frankfurt und Offenbach kannte sie bereits und wusste, dass dort Ehrenamtliche arbeiten. „Ich wurde mit offenen Armen empfangen“, sagt sie. Hier arbeitet sie in der Regel dienstags und donnerstags im Lager, wo die gespendeten Sachen abgegeben werden. Samt & Sonders XXL verkauft fast ausnahmslos Gebrauchtes in seinem riesigen Verkaufsraum, der seit Juni jedermann offensteht. Inhaber:innen des Frankfurter Familienpasses, Studierende und Leute mit wenig Geld kaufen nach wie vor zu besonders günstigen Konditionen, Wohnungslose können sich umsonst einkleiden.

Der Secondhand-Markt bietet ein Vollsortiment. Neben Kleidung finden die Kundinnen und Kunden Heimtextilien, Geschirr, Glaswaren, Spielzeug, Schuhe, Schmuck, Haushalts- und Unterhaltungstechnik sowie Lampen und Möbel. Alles gespendet. Das muss natürlich für den Verkauf vorbereitet werden. An diesem Nachmittag steht Daniela Burlone mit drei Frauen im Glaslager von Samt & Sonders XXL. Die Sonne scheint durch die großen Fenster und lässt die vielen Gläser, Vasen und Gefäße funkeln. Die Frauen kleben Preisschilder auf Weingläser. Zwei Euro das Stück, sehr günstig, um nicht spottbillig zu sagen, wenn man den Hersteller der Bleikristallgläser kennt.

Daniela Bulone und die Ehrenamtskoordinatorin Melanie Aßmann am Sortiertisch im Lager. Foto: Peter Weidemann

Gute Stimmung im Samt-&-Sonders-Team
Normalerweise arbeitet Daniela Bulone bei der Kinderkleidung. Hier prüft sie, was gespendet wurde, achtet auf Markenware und schaut, ob die Kleidung sauber und unbeschädigt ist. Was den Qualitätsstandards entspricht, hängt sie auf einen Bügel, wenn es in die aktuelle Verkaufssaison passt. Anderenfalls packt sie das Kleidungsstück für später in einen Lagerkarton. „Niemand kauft im Hochsommer Skihosen. Jetzt ist leichte Kleidung gefragt, die Leute schauen nach kurzen Hosen und Röcken“, sagt sie. Ist in ihrer Abteilung weniger zu tun, hilft sie bei den Glaswaren aus. Oder sie schaut im Verkauf, ob irgendwo leere Bügel hängen und die Ware in den richtigen Fächern liegt.

Die Arbeit macht ihr Spaß, weil die Stimmung im Team gut ist. „Wenn da jeder nur stumm stehen würde, wäre das nicht attraktiv. So fühle ich mich menschlich wohl“, sagt Bulone, die mittlerweile selber Ehrenamtliche in die Arbeit einführt. Für Melanie Aßmann, die die Ehrenamtlichen bei Samt & Sonders begleitet, ist das Miteinander ein großer Pluspunkt. „Manche haben vielleicht einen rauen Charme, aber bei uns geht es immer herzlich zu“, sagt sie. Genauso wichtig ist ihr, dass sich bei Samt & Sonders Menschen aus allen Schichten begegnen, beim Einkauf wie bei der Mitarbeit. Das würde Verständnis füreinander wecken und Vorurteile abbauen. „Dafür schlägt mein Sozialpädagoginnenherz.“

Anträge auf Engagierten Ruhestand immer noch möglich
Bei Samt & Sonders engagieren sich neben wenigen Hauptamtlichen Ehrenamtliche und Menschen, die vom Jobcenter geschickt werden und hier wieder in den Arbeitsmarkt finden sollen. Rund 50 Leute halten den Betrieb am Laufen. „Ohne Ehrenamtliche wäre es wirklich schwierig“, sagt Aßmann, gerade jetzt, wo Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand weniger würden. „Vielleicht findet ja eine ehemalige Kollegin oder ein Kollege von Frau Bulone den Weg zu uns“, hofft Aßmann.

Hoffnung könnte ihr Jörg Schäfer machen, der bei der Diakonie Hessen für Evangelische Freiwilligendienste zuständig ist. „Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich bis Ende des Jahres zu bewerben. Über eine Weiterführung des Programms für die Postnachfolgeunternehmen über das Jahr 2024 hinaus befindet sich die Bundesregierung noch in der Entscheidungsphase“, so Schäfer.

Und Daniela Bulone, deren Freundinnen bereits die Kleiderschränke durchforstet und große Kleiderstapel bei ihr abgeliefert haben? Im nächsten Jahr könnte sie ihre 1.000 Stunden hinter sich haben. Wieder ein Ende. Diesmal aber ohne Veränderung. Bulone zeigt sich entschlossen: „Ich bleibe Samt & Sonders treu und mache weiter. Was soll ich denn zu Hause?!“ Das nennt man wohl engagierten Ruhestand.

www.samtundsondersxxl.de


bool(true)