image Foto: Susanne Schmidt-Lüer.

Sinnvolle Hilfe: Jochen und Noori bilden ein Tandem im Mentoring-Programm SOCIUS.

„Ein idealer Bereich, wo ich am meisten helfen kann“

Jochen und Noori sind ein Tandem beim Mentoring-Programm SOCIUS

Noori strahlt. Er sprüht vor Energie und Zuversicht. Jochen, sein Gegenüber an diesem Nachmittag im Café Metropol, strahlt ebenfalls. Die beiden Männer, 37 und 39 Jahre alt, tun etwas sehr Sinnvolles, das sie beide mit Freude erfüllt: Sie sind ein Tandem beim Mentoring-Programm SOCIUS für Migrant: innen und Geflüchtete der Evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach.

Ich habe meine Moral wiedergefunden
Im September 2023 traf sich das neue Tandem zum ersten Mal. Noori, afghanischer Journalist aus Herat, der nach der Machtübernahme der Taliban mit einem Evakuierungsflug ausgeflogen wurde, lebt in der Nähe von Frankfurt. „Ich habe einen Bachelor in Journalismus, ich spreche mehrere Sprachen, aber als Geflüchteter hatte ich keine klare Vision, wie mein Leben hier in Deutschland aussehen könnte. Die Sprache, die Kultur, die Arbeitssituation – alles ist anders.“ Nach zwei bis drei Treffen mit seinem Mentor, erzählt Noori, „fand ich nicht nur meinen Weg, sondern auch meine Moral wieder.“

Depressiv und unmotiviert
Die Monate bevor ihn ein Freund auf das Mentoring-Programm SOCIUS aufmerksam machte, schildert der 36-jährige so: „Ich war depressiv, unmotiviert, ich ging ins Jobcenter und erhielt dort schlechte Nachrichten über die vielen Millionen Geflüchteten aus der Ukraine, aus Afghanistan, die hier Arbeit suchen.“ Jochen sagt: „Es war wichtig, dass ich als Verbindungsglied zu anderen Menschen fungierte.“ Er besuchte mit Noori die Walter-Kolb-Stiftung. „Sie halfen mir weiter, was ich in Zukunft tun kann,“ sagt Noori. Eigentlich wollte der gelernte Journalist in Deutschland Jura studieren, sich auf Internationales Recht spezialisieren. Bei der Stiftung erfuhr er, dass er dafür sehr gute Deutschkenntnisse braucht. „Als Alternative nannten sie mir, Projektmanagement zu studieren.“

„Ettelaa“ heißt Information
Noori hatte plötzlich wieder Ziele vor Augen: Gut Deutsch zu lernen und sehr gut Computerprogramme zu beherrschen. Eine Webseite, die Noori gemeinsam mit anderen Exil-Afghan:innen in Europa und Journalist:innen in Kabul entwickelt, wird demnächst online gehen. Ihr Name: www.ettelaa.com. Ettelaa, erklärt Noori, heißt Information. Die Webseite soll Neuigkeiten und Berichte publizieren mit Fokus auf dem Schutz von Menschenrechten, Journalisten und Frauen.

Die Gesellschaft sozialer Gestalten
Jochen, der 39-Jährige Finanzexperte, lauscht aufmerksam den Schilderungen. Er plante schon lange, sich ehrenamtlich zu engagieren. Den Tipp, sich beim evangelischen Mentoring-Programm SOCIUS zu bewerben, erhielt er von einer Arbeitskollegin. Denn bei SOCIUS wird niemand ins kalte Wasser geworfen, sondern zunächst in einer einjährigen Ausbildung für die Aufgabe qualifiziert. Das passte gut zu Jochens Vorstellungen: „Wir lernten rechtliche Aspekte, medizinische Sachverhalte, kulturelle Gegebenheiten kennen.“ Jochens Motiv: „Ich glaube, Geflüchtete sinnvoll zu unterstützen, ist ein idealer Bereich, wo ich am meisten helfen kann. Die Willkommenskultur ist abgeflaut. Mit meinem Engagement möchte ich dem gegenwärtigen Trend etwas entgegensetzen. Es ist nicht viel, aber wenn jeder etwas beiträgt, wird es gut. Auf jeden Fall hilft es, die Gesellschaft sozialer zu gestalten.“

Viele Geflüchtete haben niemanden, der ihnen rät und hilft
Für die wöchentlichen Treffen haben Mentor Jochen und Mentee Noori jeweils verbindliche Ziele vereinbart: „Jochen als mein persönlicher Ratgeber übt einen positiven Druck auf mich aus, etwas zu tun“, sagt Noori. Und er setzt hinzu: „Ich habe sechs Monate hier in Deutschland verloren. Wenn ich Jochens Unterstützung früher gehabt hätte, hätte ich die Zeit besser nutzen können.“ Noori denkt nicht nur an sich, sondern auch an die vielen anderen Geflüchteten, die er kennt: „Wir haben viele Leute mit guten Fähigkeiten und Hintergründen hier. Aber sie haben niemanden, der ihnen rät und hilft. Viele leben in kleinen Orten, wo es solche Programme wie SOCIUS gar nicht gibt. Im Vergleich zu dem, was die Geflüchteten benötigen, ist SOCIUS ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Noori trinkt einen Schluck Kaffee. Noch führen wir das Gespräch auf Englisch, aber er arbeitet eisern und diszipliniert daran, besser Deutsch zu lernen.

Treffen im Presseclub
Mit seinem Mentor hat er zum Beispiel vereinbart, jede Woche eine bestimmte Anzahl Wörter  zu lernen, die für das Projektmanagement relevant sind. Spezialvokabeln also, die ihn seinem Ziel, Projektmanagement zu studieren, näherbringen. Noori steht auf und verabschiedet sich lächelnd. Er hat noch einen Termin mit anderen Journalisten im Exil im Frankfurter Presseclub.

Das Mentoring-Programm SOCIUS der evangelischen Kirche in Frankfurt und Offenbach
Menschen zusammenzubringen, sie bei Behördengängen zu begleiten, nach Berufs- und Ausbildungschancen zu suchen, also Zugänge zum Leben in Deutschland zu eröffnen – das ist das Ziel von SOCIUS, dem Mentoring-Programm für Migrant: innen und Geflüchtete. Der Fachdienst wurde 2012 gegründet. Er wird aus Kirchensteuermitteln finanziert und über Landesmittel refinanziert. Seit der Gründung gab es mehr als 200 Tandems. Zurzeit engagieren sich rund 100 Mentor:innen bei SOCIUS. Das Programm wurde zuletzt von der Share Value Stiftung und der Naspa-Stiftung gefördert.
Der nächste Ausbildungsjahrgang startet 2025.

Kontakt für Interessierte:
Petra Buschkämper, Teamassistentin, Evangelisches Zentrum für Beratung Am Weißen Stein
Telefon: 069 53 02-225 und E-Mail: ehrenamt.flucht@frankfurt-evangelisch.de
https://evangelische-beratung.com/migration-flucht/mentoring-programm-socius/


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