image Foto: Susanne Sperling

30 Jahre Flughafenverfahren sind genug!

Diakonie und Caritas in Frankfurt sagen Nein zu Asylschnellverfahren an den EU-Außengrenzen

Ihre Tür steht offen. Sie kann nicht schlafen. Ein Mann in Uniform sitzt in der Tür und beobachtet sie. An diesen Ort ist sie nach politischer Verfolgung und brutaler Vergewaltigung geflüchtet. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, sie brach zusammen, äußerte Suizidgedanken. Seitdem wird sie rund um die Uhr bewacht, damit sie sich nichts antut. Viel Geld gibt das Land Hessen dafür aus. Eine Klinik mit therapeutischer Versorgung konnte die Frau nicht aufsuchen. Denn dafür müsste sie nach Deutschland einreisen und das wurde ihr nicht gestattet. Sie lebt zusammen mit anderen Geflüchteten in der Cargo City Süd nah beim Frankfurter Flughafen. „Hier am Flughafen“, sagt Flüchtlingspfarrerin Tanja Sacher, „verläuft Deutschlands europäische Außengrenze.“

Retraumatisierungen treten häufig auf
Im Sommer 1993 wurde das Flughafen-Asylverfahren eingeführt. Ein trauriges Jubiläum, sagen die Diakonie Frankfurt und Offenbach und der Caritasverband Frankfurt in einer gemeinsamen Stellungnahme. Die beiden kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen forderten von Beginn an, das Verfahren abzuschaffen: „Hier werden Menschenrechte nicht ausreichend geschützt und Retraumatisierungen verursacht“, sagt die evangelische Pfarrerin Tanja Sacher.

Schnellverfahren versagen beim Schutz besonders verletzlicher Menschen
Die beiden Wohlfahrtsorganisationen machen täglich Erfahrungen, wie sich das Schnellverfahren –– auf die Betroffenen auswirkt. Dem Paragraf 18a Asylgesetz unterliegen Geflüchtete, die auf dem Luftweg ohne gültige Reisedokumente oder aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland ankommen. Sie werden von der Bundespolizei in ein bewachtes Gebäude in der Cargo City Süd gebracht, das sie nicht verlassen dürfen. Smartphones und andere Geräte mit Kameras müssen sie abgeben, Kontakt zur Außenwelt ist dadurch kaum möglich. Unter haftähnlichen Bedingungen leben Geflüchtete, bis entschieden ist, ob sie deutschen Boden betreten dürfen oder nicht. Diakonie und Caritas ziehen nach 30 Jahren Flughafenverfahren eine niederschmetternde Bilanz: „Gerade die besonders schutzbedürftigen Personen werden durch das Verfahren benachteiligt und können ihre Rechte nicht wahrnehmen. Das Flughafenverfahren gehört abgeschafft“, fordern Diakoniepfarrer Markus Eisele und Caritas-Direktorin Gaby Hagmans. Sie kritisieren zudem die unverhältnismäßig hohen Kosten, die durch die Präsenz der Behörden und eine geschlossene Unterkunft entstehen und fordern stattdessen mit diesen Steuergeldern Integrationsmaßnahmen zu fördern.

Gegen Schnellverfahren an der EU-Außengrenze
Aufgrund ihrer 30-jährigen Erfahrung mit Schnellverfahren am Frankfurter Flughafen warnen Diakonie und Caritas entschieden davor, verkürzte Asylverfahren an den EU-Außengrenzen anzuwenden. Die Anfang Juni getroffene Entscheidung der EU-Innenminister: innen für weitreichende Verschärfungen im Asylrecht bedeutet: „Massenhafte Grenzverfahren unter Haftbedingungen werden ebenso die Folge sein, wie Abschiebungen in vermeintlich sichere Drittstaaten ohne jede inhaltliche Prüfung des Asylantrags“, erläutert Andreas Lipsch, Pro Asyl-Vorsitzender und Interkultureller Beauftragter der EKHN.

Kinder, Ältere und schwer Erkrankte sind besonders schutzbedürftig
Der Artikel 21 der EU-Aufnahmerichtlinien regelt, wer besonders schutzbedürftig ist: Es sind die Kinder und Jugendlichen, die Behinderten und Älteren, Schwangere und Alleinerziehende, Opfer von Menschenhandel, schwer körperlich oder psychisch Erkrankte sowie Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder andere schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Der Kirchliche Flüchtlingsdienst weiß, dass auf die meisten, die er in 30 Jahren im Transit begleitet und beraten hat, mindestens eins der genannten Merkmale zutrifft. Auf den Schutz dieser Menschen, heißt es in der Richtlinie, soll ein besonderes Augenmerk gelegt werden.

Medizinisches Fachpersonal wird nicht um Rat gefragt
Ein weiteres Negativbeispiel: Artikel 14 eröffnet EU-Staaten die Möglichkeit, auf die persönliche Anhörung über die Fluchtgründe zu verzichten, wenn deutlich wird, dass „der Antragsteller aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist.“ Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn jemand aufgrund einer Traumatisierung nicht ausreichend aussagefähig ist. Im Flughafenverfahren aber wird diese Möglichkeit des Verzichts auf die Anhörung in der Regel nicht genutzt. Medizinisches Fachpersonal wird nicht konsultiert, um ein Gutachten über eine mögliche Traumatisierung einzuholen. In inländischen Verfahren hingegen ist dies regelmäßig der Fall. Das legt nahe, „dass für Menschen an der EU-Außengrenze und im verkürzten Verfahren andere Regeln gelten. „Dass sie ihre Rechte nicht ausreichend wahrnehmen können, ist inakzeptabel“, urteilen Diakonie und Caritas.

Kirchlicher Flüchtlingsdienst berät vor der Anhörung
Der Kirchliche Flüchtlingsdienst am Frankfurter Flughafen bietet allen, die das Flughafenverfahren durchlaufen, eine individuelle Beratung an. In manchen Fällen werden Rechtsanwält: innen oder spezialisierte Beratungsstellen hinzugezogen. Dadurch gelingt es immer wieder, dass besonders verletzliche Geflüchtete, wie Opfer von Menschenhandel oder LGBTQI+ Personen, eine Begleitung zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhalten.

Ablehnungsquote am Flughafen deutlich höher als im Inland
Trotz des Engagements der Wohlfahrtsverbände ist die Ablehnungsquote im Flughafenverfahren deutlich höher als im Inland: 2022 wurden im Inland 21,6 Prozent aller Anträge als „unbegründet“ oder „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Im Schnellverfahren am Flughafenlag allein die Ablehnungsquote als „offensichtlich unbegründet“ bei 35 Prozent. „Wir finden das erschreckend“, sagen Diakonie und Caritas. Sie weisen darauf hin, dass das gesamte Verfahren innerhalb von 19 Tagen abgeschlossen sein muss – inklusive eines möglichen Rechtsbehelfs, über den das Verwaltungsgericht entscheidet.  Wegen der kurzen Fristen bleibt den von der Flucht noch erschöpften, oft traumatisierten Menschen nicht genug Zeit, um die Anforderungen der deutschen Behörden zu verstehen und sich auf die Anhörung vorzubereiten. Dies führt zu Verzweiflung und existenzieller Angst bei den Betroffenen, kritisieren Caritas und Diakonie.


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